Mit den so genannten Cultural Animal Studies hat sich in den letzten Jahren ein Forschungsbereich etabliert, der auch für die Literaturwissenschaften nachhaltige Konsequenzen hat – und dies in dreifacher Hinsicht. Erstens fokussieren die Literaturwissenschaften ‚Tiere in der Literatur’ als historisch bedingte und kulturell motivierte Konstruktionen, in denen anhand der Grenzziehungen zwischen Mensch und Tier Konzepte des Humanen und des Animalischen verhandelt werden. Zweitens arbeiten sie dabei interdisziplinär, indem sie die der jeweiligen Literatur zeitgenössischen Entwicklungen und Positionen berücksichtigen – etwa die Wissenschaften der Biologie, Ethologie und Zoologie, die kulturellen Praktiken der Jagd, der Züchtung und des Tierexperiments und die gesellschaftlichen Institutionen des Zirkus und des Zoos. Drittens fragen sie nach den spezifischen Darstellungsformen, in denen das gesamtkulturelle Wissen um Tiere sowohl in den Wissenschaften als auch in der Literatur entworfen und verarbeitet wird.
Dieser Ansatz der Animal Studies ist im besonderen Maße geeignet, die zahlreichen Tierdarstellungen in Kafkas Texten – vom „Ungeziefer“ Gregor Samsa in DieVerwandlung über den Affen Rotpeter in Ein Bericht für eine Akademie bis hin zu den Mäusen in Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse – in neuer Weise zu perspektivieren. Denn zum einen beugt der Ansatz der Animal Studies durch seine Verpflichtung auf kulturelle Kontexte einer ausschließlich auf den literarischen Text bezogenen Lektüre vor, die bisher vor allem in der Kafka-Forschung praktiziert worden ist und die die Tierfiguren meist parabolisch bzw. allegorisch gelesen hat. Zum anderen stehen Kafkas Tierdarstellung historisch in einer höchst vielschichtigen Gemengelage von Debatten (Evolutionstheorie, Sozialdarwinismus) und Experimenten (Iwan Pawlos Reiz-Reaktions-Untersuchungen an Hunden, Wolfgang Köhlers „Intelligenzprüfungen“ von Affen), Schaustellungen (der Pferde von Elberfeld, des Mannheimer Hundes Rolf sowie der Variété-Affen Moritz und Konsul Peter) und Publikationen (die Autobiographie des Zoodirektors Carl Hagenbeck erscheint erstmals 1909, Brehms Tierleben geht in den 1910er Jahren in die vierte, den zeitgenössischen wissenschaftlichen Standards angepassten Auflage), die eine Analyse seiner literarischen Texte im kulturellen Kontext als notwendig wie fruchtbringend erscheinen lässt.
Für die Tagung „Kafkas Tiere. Kulturwissenschaftliche Lektüren“ sind deshalb Beiträge gesucht, die Kafkas Tiere im Zusammenhang mit der Tierforschung um 1900 lesen und den Fragen nach der Darstellung, Konzeptualisierung und Ausdifferenzierung von Natur und Kultur bzw. von Animalität und Humanität nachgehen.
Die Tagung, die in einer Kooperation zwischen der Deutschen Kafka-Gesellschaft, dem Department für Germanistik und Komparatistik der Universität Erlangen-Nürnberg und der Würzburger Summer School for Cultural and Literary Animal Studies ausgerichtet wird, findet vom 3.- bis 5.10.2014 an der Universität Erlangen-Nürnberg statt.
Eine Veröffentlichung der Tagungsvorträge in der Schriftenreihe „Forschungen der Deutschen Kafka-Gesellschaft“ ist vorgesehen.
Wir möchten ausdrücklich Nachwuchswissenschaftler dazu auffordern, sich für die Tagung zu bewerben. Bewerbungen mit einem Exposé (max. 2000 Zeichen) senden Sie bitte bis zum 30.03.2014 an:
Dr. Wilko Steffens, Präsident der Kafka-Gesellschaft, steffens@kafka-gesellschaft.de und Prof. Dr. Harald Neumeyer, Universität Erlangen-Nürnberg, harald.neumeyer@fau.de